»Oh, wie viel Zaub'rer, wie viel Zauberinnen
gibt's unter uns, von denen man nichts weiß!«
Ariosto: Orlando Furioso. Ges. VIII, I.
Wenn ich, verehrter Herr Sanitätsrat, Ihrem Wunsche nachkomme und die Seiten des Heftes, das Sie mir gegeben haben, ausfülle, so wollen Sie mir glauben, daß ich das nach reiflicher Überlegung und mit einer wohldurchdachten Absicht tue. Denn im Grunde genommen handelt es sich doch nur um einen Kampf zwischen uns beiden, Ihnen, dem leitenden Arzt dieser Privat-Irrenanstalt und mir, dem Patienten, der seit drei Tagen hier untergebracht ist. Die Anklage, wegen der ich hier gewaltsam untergebracht bin – entschuldigen Sie einem Studenten der Rechte, daß er mit Vorliebe juristische Phrasen wählt! –, wirft mir vor, daß ich » an der fixen Idee leide, ein Orangenbaum zu sein«. Nun, Herr Sanitätsrat, versuchen Sie den Beweis zu erbringen, daß das eine »Vorspiegelung falscher Tatsachen« sei – gelingt es Ihnen, mich von dieser Ihrer Meinung zu überzeugen, so bin ich ja »geheilt«, nicht wahr? Wenn Sie mir beweisen, daß ich ein Mensch sei wie alle anderen, daß ich lediglich infolge einer Fülle nervenzerrüttender Aufregungen von einer krankhaften Einbildung befallen sei wie viele Tausende von Kranken in allen Sanatorien der Welt, so haben Sie mit diesem Beweise zugleich mich den Lebenden wiedergegeben: Die »Nervenkrankheit« ist dann im Nu von Ihnen weggeblasen.
Auf der anderen Seite habe ich als Angeschuldigter das Recht, den Wahrheitsbeweis anzutreten. Es ist der Zweck dieser Zeilen, Sie, sehr geehrter Herr Sanitätsrat, von der Unanfechtbarkeit meiner Behauptungen zu überzeugen.
Sie sehen, daß ich ganz nüchtern denke, jedes Wort ruhig abwäge. Ich bedaure herzlich die Auftritte, die ich vorgestern machte; es betrübt mich sehr, daß ich durch mein albernes Gebaren den Frieden Ihres Hauses störte. Sie wollen das den vorangegangenen Aufregungen zugute halten, Sie wollen bedenken, daß, wenn man Sie, verehrter Herr Sanitätsrat, oder sonst einen gesunden Menschen plötzlich hinterlistig in ein Irrenhaus brächte, er auch nicht viel anders sich benehmen möchte. Unsere stundenlange Unterredung von gestern abend aber hat mich völlig beruhigt; ich sehe ein, daß meine Verwandten und Korpsbrüder lediglich mein Bestes wollten, als sie mich hierher brachten. Und nicht nur »wollten«; ich glaube, daß es wirklich so das Beste ist. – Denn wenn es mir gelingt, einen Psychiater von europäischem Rufe wie Sie, Herr Sanitätsrat, von der Richtigkeit meiner Aufstellungen zu überzeugen, so muß auch der größte Skeptiker sich vor dem sogenannten » Wunder« beugen.